Zerbrechlich

von Rebecca Kluth

Wer will schon zerbrechlich sein
Jemand den man einfach umpusten kann
Antippen und er fällt
Jemand den man fragil nennt

In meinem Kopf ist man dann aus Glas
Mit ganz feinen Gliedern
Ein dünnes kleines Männchen
Durchsichtig
Mit leichten Rissen

Und dann passiert es

Jemand
-Du-
lässt es fallen und es zerbricht in tausend Teile
Und an den Scherben kann man sich schneiden
weh tun

Vielleicht sammelst du die Scherben auf
um dich nicht mehr daran zu schneiden
Vielleicht wirfst du sie in den Müll
nachdem du sie zusammengesammelt hast

Vielleicht versuchst du sie wieder zusammenzusetzen
Vielleicht erschreckst du dich, wenn es klirrt
Zerspringt
Zerscheppert
Zerberstet

Vielleich hast du es aus Versehen im Vorbeigehen umgestürzt
weil du nicht darauf geachtet hast
Oder es im Weg stand
Oder du vergessen hast
dass so ein Glasmännchen zerbrechen kann

Wie schnell
Wie einfach
Wie doll

Aber

Nicht unbedingt Menschen sind zerbrechlich
sondern Dinge

Wie Beziehungen
Freundschaften
Liebschaften
Liebe

Doch man bekommt es nicht immer mit
Nicht sofort
Und manchmal auch gar nicht
Und dann sitzt man gemeinsam auf Scherben
Und versucht krampfhaft dabei zu lächeln

Es klirrt
Es bröselt
Es bricht

Und man reicht sich die Scherben hin und her
Unsicher, ob man sie in den Müll werfen soll
Oder versuchen soll sie wieder zusammen zu setzen

Vielleicht sagt man „das soll so“
Und „Glas geht nun mal kaputt
Und der Müll ist nun mal voll
Und Scherben bringen Glück.“

Was soll ich noch dazu sagen?
Scherben bleiben Scherben
Egal was zerbricht.

In der Gegenwart leben

Eine Zen-Geschichte:
Ein junger Mann kam zum Meister und berichtete ihm von seinen Erlebnissen.
“Im Himalaya traf ich einen weisen alten Mann, der in die Zukunft sehen kann. Diese Kunst lehrte er auch seine Schüler.”, sprach er voller Begeisterung.
“Das ist keine Kunst.”, sagte der Meister. “Mein Weg ist viel schwieriger.”
“Wirklich?” fragte der junge Mann. “Wie ist euer Weg, Herr?”
“Ich bringe den Menschen bei, die Gegenwart zu sehen.”

Als ich diese Geschichte zum ersten Mal las, musste ich zunächst schmunzeln, fühlte mich aber auch „ertappt“, denn auch bin mit Gedanken oft in der Vergangenheit, im nächsten Moment oder in der weiteren Zukunft, anstatt im jetzigen Augenblick. Da kann es leicht passieren, dass man sich von der Gegenwart entfernt und außerhalb des Lebens steht, da man den Moment und was gerade ist, nicht bewusst wahrnimmt und so auch viele schöne Augenblicke verpassen kann. Dabei ist der wichtigste Moment doch immer der, der jetzt gerade ist. Was vergangen ist, lässt sich nicht mehr ändern. Was kommt, können wir nicht wirklich wissen und kommt oft sowieso anders als erwartet oder geplant.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir planlos durch das Leben gehen und keine Gedanken an die Zukunft verschwenden sollen. Aus der Vergangenheit lernen wir und natürlich müssen wir auch Ziele haben und Entscheidungen treffen, die in die Zukunft gehen. Im Hier und Jetzt zu leben bedeutet vielmehr achtsam zu sein und sich ganz auf den jetzigen Moment einzulassen. Mit allen Sinnen bei dem zu sein, was gerade ist oder was man gerade tut und sich nicht schon gedanklich im nächsten Augenblick, bei der nächsten Tätigkeit, bei der nächsten Aufgabe oder dem nächsten Gespräch zu befinden. Nur in der Gegenwart können wir unser Leben genießen, es aktiv gestalten, ändern was sich ändern lässt und lernen hinzunehmen, was sich nicht ändern lässt. Nur in der Gegenwart können wir SEIN.

Urlaub

So langsam geht sie wieder los,  die Urlaubszeit.  So nutzen viele beispielsweise die kommenden Osterfeiertage für einen Kurz- oder auch einen längeren Urlaub.

Mit Urlaub verbindet man meist viele schöne Dinge wie Ruhe,  Erholung,  Freiheit, Reisen, neue Erlebnisse und vieles mehr.  Vor allem aber mit viel freier Zeit.  Zeit,  all das zu tun, wozu man sonst keine Zeit hat.  Zeit zu Reisen und neue Länder,  Orte und Menschen kennenzulernen oder auch Altbekanntes neu zu entdecken. Zeit für Familie, Freunde,  für Ausflüge, zum Lesen  oder auch einfach um Nichtstun.

In nicht wenigen Fällen endet der Urlaub jedoch mit Enttäuschungen oder Freizeitstress. Zum Beispiel dann, wenn Erwartungen sich nicht erfüllt haben oder wenn versucht wird, in den Urlaubstagen möglichst viel zu erleben. Heute kann man ja innerhalb weniger Stunden zu den fernst gelegenen Orten reisen. Und auch am Urlaubsort selbst lässt sich dann die Umgebung oder sogar das ganze Land innerhalb weniger Stunden oder Tage per Auto oder Bus erkunden.  Das alles kann sicher sehr schön sein,  allerdings frage ich mich oft,  ob weniger nicht auch hier manchmal mehr wäre. Nicht so weit,  nicht so schnell,  nicht so viel,  denn das alles möchte ja auch von unserer Seele verarbeitet werden.  Entschleunigung statt Beschleunigung und sich Zeit nehmen, wirklich auch einmal nichts zu tun.  Das ist gar nicht so einfach,  wie man vielleicht denken mag,  wird man – so ganz ohne Ablenkung – hierbei doch auch auf sich selbst zurückgeworfen. Zeit mit sich selbst verbringen heißt sich selbst kennenzulernen, sich selbst zu finden.  Auch das kann ein Abenteuer sein.

Nicht in die Ferne, in die Tiefe sollst du reisen.”
 (Ralph Waldo Emerson)

Die Bedeutung des Einzelnen

Das Märchen vom Kolibri
(nach Adriano Martins, Brasilien)

Es war einmal ein wunderschöner großer Fluss an dessen Ufern ein riesiger Wald stand. In diesem Wald lebten viele Tiere: Elefanten, Löwen, Affen und noch viele andere. Eines Tages brach ein Feuer aus. Die Tiere hatten Angst, dass ihre Wohnungen und Nistplätze zerstört werden könnten und waren verzweifelt. Nur ein kleiner Kolibri ließ den Kopf nicht hängen, sondern flog zum Fluss, holte einen Schnabel voll Wasser und ließ diesen kleinen Wassertropfen über dem brennenden Wald fallen. Die anderen großen Tieren lachten ihn aus: Was wollte dieser kleine Kerl schon ausrichten? Der Kolibri antwortete: „Ich leiste meinen Teil, nun seid ihr dran!“

Mir gefällt dieses Märchen um den kleinen Kolibri, der ob der Bedrohung durch den Waldbrand als Einziger nicht in Angst und Verzweiflung stecken bleibt, sondern das unmöglich Scheinende versucht. Als die anderen Tiere ihn deshalb auslachen, sagt er etwas sehr Wichtiges:

Ich leiste meinen Teil, nun seid ihr dran!“

Er geht mit gutem Beispiel voran und fordert die andern zum Handeln auf, wohl wissend, dass sein Tropfen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein bleiben würde, ohne die Hilfe und den Beitrag der anderen. Nur wenn jeder seinen Teil leistet, kann der Waldbrand vielleicht gestoppt werden. Viele Tropfen können zu einem Meer werden.

Dieses Märchen lässt sich sehr gut auch auf uns übertragen, denn ist es nicht so, dass auch wir angesichts der vielen Weltprobleme, wie z.B. Umweltzerstörung, Hungersnöte, Kriege, Krankheiten, Naturkatastrophen oder Armut, oftmals sind wie die Tiere und denken, wir könnten nichts tun? Wie gut, dass es da trotz allem immer wieder Menschen gibt, die wie der Kolibri mit gutem Beispiel vorangehen und das scheinbar Unmögliche versuchen und uns zeigen, dass jeder von uns etwas tun kann, scheint dieses manchmal auch noch so gering. Ein afrikanische Sprichwort lautet:

Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Schritte tun, können das Gesicht der Welt verändern

Viele kleine Schritte können das Gesicht der Welt positiv verändern. Wenn jeder von uns einen kleinen Schritt macht und seinen kleinen Tropfen beiträgt, ist Veränderung möglich.

Urteilt nicht, versucht zu verstehen

von Hakan Arabacıoğlu,
aus dem Türkischen von Kerem A.

Vor zwei Jahren sah ich beim Sommerhaus, wie das fünfjährige Enkelkind unseres Nachbars ins Meer ging. Als es herauskam, wusch es sich jedes Mal die Füsse mit einem feuchten Tuch ab. Nur mit Finken stand sie auf dem Sand. Die Eltern sagten bei diesem Anblick stets Dinge wie "Ahh, die hat einen Putzfimmel!", "Mensch, ist dieses Mädchen pingelig!"


Die Situation war für mich sehr merkwürdig. Ich sagte zu mir, dass ich mit ihr reden sollte. Ich setzte mich neben sie

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Staunen können

Ich bitte dich hinaus zu geh'n
die wilde Schönheit einzusaugen,
die Wunder der Erde zu beseh'n
mit dem Staunen von Kinderaugen

Edna Jaques

Können wir eigentlich noch staunen?
In unserer heutigen Zeit, die sehr schnelllebig ist und in welcher die Wissenschaft fast alles erklären kann, fällt es uns oft schwer kleine Dinge bewusst wahrzunehmen und über etwas zu staunen.

Wenn wir gesund sind, ist es für uns normal und selbstverständlich, dass wir uns bewegen, sehen, hören und sprechen können. Wir wissen warum es möglich ist und was im Körper dabei abläuft. Es ist auch normal und selbstverständlich für uns, dass auf einen Winter der Frühling folgt, dass dann alles beginnt zu blühen, die Tage länger und wärmer werden. Es ist normal, dass auf eine Nacht der Tag folgt, dass es Regen gibt oder dass die Sonne scheint. Wir kennen oft alles bis zur kleinsten Zelle und ihren Aufbau mit ihrem Zellkern, den Ribosomen, Vesikel, Golgi-Apparat, Mitochondrien und ihre Funktionen. Wir wissen um kleinste Teilchen wie Atome, Elektronen Neutronen und Quarks. Ja selbst die Gene können wir bestimmen und verändern. Wir wissen was im Inneren eines Menschen abläuft, welche Funktionen in Gang gesetzt werden, zum Beispiel bei der Nahrungsaufnahme, beim Sprechen, beim Sehen und Hören. Wir wissen um die physikalischen Gesetze, um Ordnungsmuster in der Natur und um chemische Strukturen.

Können wir da trotzdem noch staunen über die scheinbar einfachen Dinge?
Staunen über einen Sonnenaufgang, über das Gras oder die kleine Blume, die den Asphalt durchbricht. Staunen über den Frühling, wie er in jedem Jahr aufs Neue geschieht, einfach so. Fast über Nacht beginnt alles zu blühen und auch die Zugvögel kehren zurück. Ich staune immer wieder darüber, wie sie ihren Weg finden. und wissen wann sie aufbrechen müssen. Aber ich staune auch über den Aufbau einer Zelle, wie perfekt alles angelegt ist, über die physikalischen Gesetze und die chemischen Strukturen, über all das was die Wissenschaft erforscht, aufgedeckt und uns an Wissen zugänglich gemacht hat. Und ich muss gestehen ich staune trotz allem Wissen darüber immer wieder, dass ich mich mit einem Menschen per Telefon unterhalten kann, der hunderte von Kilometern entfernt ist, so als ob diese Person direkt neben mir steht.

Jedoch bleibt bei allem was wir wissen und erforscht haben so manches mal die Frage nach dem 'Woher' und dem 'Warum' unbeantwortet. Vielleicht werden wir auch diese Fragen eines Tages beantwortet können, vielleicht aber auch nie ganz.
Aber wenn ich zum Beispiel auf einem Berg stehe und in die unendlich scheinende Ferne blicke, wenn ich sehe wie sich ein Vogel scheinbar schwerelos durch die Lüfte bewegt, wie Steinböcke und Gemsen mit Leichtigkeit steilste Felsen überwinden ohne abzustürzen, wie aus Felsen Blumen und Sträucher wachsen können, wie die Wolken dahin ziehen, dann muss ich gestehen, denke ich nicht nach über physikalische Gesetze, Erklärungen oder nach dem "Warum". Dann freue ich mich einfach an dem Anblick und genieße den Augenblick. Dann staune ich und finde einfach alles nur "wunder-bar" – und ich danke Gott dafür.

Wann und worüber haben Sie zuletzt gestaunt?

"Die schönste Erfahrung, die wir überhaupt machen können, ist jene des Geheimnisvollen. Es ist das grundlegende Gefühl, das am Ursprung wahrer Wissenschaft und wahrer Kunst steht. Alle, die dieses nicht kennen und nicht mehr staunen können, sind so gut wie tot und ihre Augen sind verblasst."
Albert Einstein

 

 

 

 

 

Wandelbarkeit des Urteils

Die Wandelbarkeit des Urteils

Sie saßen auf dem alten Wegweiser nebeneinander, die Nebelkrähe und sie Saatkrähe, und blickten über das trostlose Land zu Ende des Winters. In den Ackerfruchen lag noch schmutziger Schnee. Die Hecke reckte ihre nackten Zweige wärmeheischend in einen Himmel, der sie mit eisigem Wind übergoß. Der Pfad zwischen den Äckern war zu einer Bahn langsam abwärts schiebenden Schlammes geworden.
“Ein ekliges Land”, sagte die Nebelkrähe, und sie hatte echt.
“Ein häßliches Land”, ergänzte die Saatkrähe, und sie hatte ebenfalls recht.
 Da wanderten gelbrote Sonnenstrahlen über die Flur, vergoldeten alles, was ihnen in den Weg lag – die Gräser der abgestorbenen Wiese, den frostzerrissenen Stamm der Birke, die Stengel der toten Schafgarbe, die dreckigen Schneeefetzen hinter der Hecke – und verwandelte das rieselnde Wasser am Weg zu purem, flüssigem Gold.
“Ein herrliches Land”, sagte die Nebelkrähe.
“Fürwahr, ein schönes Land”, ergänzte die Saatkrähe;
und sie hatten beide recht.

Kurt Kauter

Diese kurze Geschichte von Kurt Kauter zeigt sehr schön, wie sehr unser Urteil von den äußeren Umständen abhängt und wie schnell sich unser Urteil wandeln kann, wenn die Umstände sich ändern. Meistens urteilen wir, wie die beiden Krähen in der Geschichte, intuitiv und ohne groß darüber nachzudenken. Weiterlesen