Wie kann es sein, dass ich in einer so großen Welt eine Rolle spiele?
Jeder Mensch auf dieser Welt, auch wenn er mir gefiele, mir doch so fremd ist, da in jeder Sekunde, in der er lebt, ich ein anderes Leben führe.
Ich denke nach und rauche dabei, schaue aus dem Fenster heraus und sehe paar Bäume. Die Sonne scheint und ich bin ruhig. Doch wie geht es jetzt den anderen Menschen, die da draußen leben? Was machen sie gerade? Erst denk ich an Deutschland und mir fallen viele Dinge ein. Die einen werden bestimmt auch Zuhause sitzen, so wie ich, vielleicht auch mit jemandem zusammen. Sie trinken ein Wein oder ein Bier, sie kochen, schlafen, weinen, streiten, kuscheln, lieben sich oder schauen einen Film. Aber in welcher Komplexität das steckt wird einem erst bewusst, wenn man die verschiedenen Konstellationen zwischen den Menschen betrachtet. Ist es Bruder, Schwester, Freund, Mama oder Exgeliebte:r? Was passiert zwischen den Beziehungen der Menschen, ganz schön viel oder nicht? Es wird Menschen geben, die gerade in einer Situation sind, die ich gerade gar nicht nachvollziehen kann. Es kann jederzeit passieren, dass Menschen leiden und sich gerade in einer Nichtwohlfühlphase befinden. Welche Emotionen da eine Rolle spielen und wie sie in das Leben eintreten und regelrecht zertreten, ist eine unzumutbare Vorstellung.
Es kann einfach alles sein.
Und genau das passiert jetzt, wo ich hier sitze und mein unbekümmertes oder auch bekümmertes Leben führe und nachdenke. Erst habe ich nur an Deutschland gedacht, aber jetzt denke ich weiter. Europa? Spanien, Türkei, Portugal oder Schweden? Was geht da gerade vor, in diesem Moment? Wo doch Sitten, Traditionen und Lebenshaltungen so scheinbar unterschiedlich sind. Andere Reaktionen zu denselben Situationen wie in Deutschland.
Ich weiß es nicht.
Es ist einfach so komplex, dass es mir auch irgendwie Angst bereitet, ein Mensch zu sein. Denk ich global, dann fällt mir direkt Mosambik ein, und ich weiß ungefähr, dass die Menschen dort ein anderes Leben führen als wie in Deutschland. Anders handeln und sind.
Aber was heißt denn „anders“?
Nur weil ich hier gerade so eingeschränkt sitze und mir Gedanken um die Welt mache, heißt es nicht, dass ich anders als Betitelung nehmen darf. Es ist erschreckend, welche Gedanken so kommen, wenn man mit sich alleine ist. Es ist natürlich subjektiv zu betrachten, und ich rede nur von meinen Erfahrungen. Menschen, mit denen ich zu tun habe und die in meinem Umfeld stehen, erleben auch andere Situationen als ich. Sie haben ein komplett anderes Leben wie ich, das Einzige, was sich hier überschneidet, sind die gemeinsamen Erfahrungen. Jeder von ihnen hat sie einzeln aufgenommen und gespeichert, in der Art wie der Mensch denkt und fühlt. Somit ist mir doch eigentlich jeder Mensch fremd, auch wenn er in meinem Leben eine Rolle spielt. Was sind wir, Hauptdarsteller oder Nebendarsteller? Wo setzen wir an? Oder Du? Es ist gruselig zu sehen, dass Du so ein kleines Leben in dieser großen Welt führst, jedoch wichtig für andere Menschen im Leben bist, obwohl Du nur eine Nebenfigur darstellst. Im Endeffekt hängt Dein Leben nur von Dir selbst ab, was sind dann denn schon andere Menschenleben?
Da wir in der Welt alle miteinander koexistieren, müssen wir aber fungieren mit allen Menschenleben, die es gibt. Respekt und Akzeptanz können da sehr wichtig sein, denn Sein ist immer besser als Schein. Somit ist mir klar, dass ich beides sein kann, Nebendarsteller und Hauptdarsteller, die nebeneinander existieren können, im Wechselspiel. Es ist möglich verschiedene Rollen einzunehmen, die ja auch anerzogen werden oder von klein aufzuspüren sind. Damit lernt es sich später leichter, sich in an Rollen anzupassen, besonders bei vielen verschiedenen Erfahrungen. Durch diese Vielschicht an Perspektiven, so viele Perspektiven, ob auch gesellschaftlich oder politisch gesehen, zum Beispiel Geschlecht oder Rassismus, FDP und die Grünen oder die CDU, wird mir deutlich, dass meine verbildlichte Vorstellung von den unterschiedlichen Leben und der globalen Komplexität lange nicht ausreicht.
Wir sind in Grenzen gefangen, die unser Leben aber möglich machen, da wir ja alle nur Menschen sind. Wir grenzen uns gegenseitig voneinander ab, um sich sicher zu fühlen und diese Grenzen sind meiner Meinung nach wichtig. Über Grenzen hinausgehen ist vielleicht ein paar Erfahrungen wert, um weiter zu wachsen, aber an sich zieht jeder seine eigenen Grenzen in ganz unterschiedlichen Bereichen. Grenzen können versetzt werden und bieten Spielraum. Der Spielraum macht es möglich, auch mal einzustecken, wenn Grenzen überschritten werden, da ja jeder Mensch seine Grenzen anders setzt. Wenn ich mir meine Grenzen vorstelle und ein anderer Mensch, egal wer sich seine Grenzen vorstellt, dann sind sie unterschiedlich. Bei mir hört eine Grenze auf, wo sie bei ihm vielleicht erst anfängt oder auch umgekehrt. In allen Bereichen.
Jedoch muss ich sagen, dass es innerhalb verschiedener Gruppen bezüglich des Geschlechts, des Aussehens und der Herkunft weniger Unterschiede zu geben scheint als außerhalb der Gruppen. Oft sind ähnlichere Grenzen innerhalb einer Gruppe vorzufinden, da die Lebenssituation und Erfahrungen näher beieinander liegen. Damit will ich aber nicht behaupten, dass alle Leben aus dieser Gruppe gleich sind. Nur die Unterschiede der Grenzen hängen viel von Lebenserfahrung und Erinnerungen ab, die zum Beispiel bei einem fünfzigjährigen Menschen und einem zwölfjährigen Jungen oder Mädchen anders gegeben sind als die zwischen zwei Jungen oder zwei Mädchen. Oder auch von einer vielleicht vierzigjährigen Frau, die der LGBTIQ+ Szene angehört und sich als Person im Unterschied zur heteronormativen Gesellschaft definiert. Dadurch sind Grenzen freigesetzt, ob gewollt oder gesellschaftlich bedingt.
Diese ganzen Komplexitäten machen es mir so schwer, hier zu sitzen und das zu akzeptieren, anzunehmen ohne jemals eine Antwort auf die Frage, was die Menschen gerade in dieser Situation machen, zu bekommen. Nur die Neugier ist so groß, da ich alles erfassen möchte, alles was es auf dieser Welt gibt. Aber das wäre ja zu viel, deshalb lebe ich in meinen eigenen Grenzen vor mich hin, die ich ab und zu erweitere oder zurücksetze. So bin ich sicher, sicher vor all dem, was draußen passiert, um mein eigenes Leben zu wahren. Die Neugier ist die Aufregung innerhalb meiner Grenzen, die mich zum Erweitern oder Zurücksetzen meiner Grenzen bringt und meinem Leben einen Sinn zu gibt, weiterzumachen. Immer wieder das Feuer in dir entfachen, um lebendig zu sein und zu fühlen wer du bist.
Wie kann es sein, dass ich in einer so großen Welt eine Rolle spiele?
Jeder Mensch auf dieser Welt, auch wenn er mir gefiele, mir doch so fremd ist, da in jeder Sekunde, in der er lebt, ich ein anderes Leben führe.
von Zarah Reiter