Was taugt die Leitkultur?

Nicht nur der zur Reflexion unbequeme Durchschnitt der Gesellschaft meint auf Grundlage fragwürdiger Publikationen, die Gefahr aus dem Morgenland erkannt zu haben, sondern auch in deutschen Hörsälen fabulieren Professoren offen über die Kompatibilität verschiedener Kulturen und sehen das christliche Abendland am Rande des islamischen Abgrundes, den man nur mit einer überzeugenden und schlagfertigen Leitkultur überbrücken könne.
Denn schließlich seien es ja stets die Gäste, die sich dem großzügigen Gastgeber anzupassen haben, welcher doch immerhin so großzügig sei, das Geschenk der modernen Zivilisation mit anderen Kulturen zu teilen. Kurzum: Her mit der deutschen Leitkultur! Weiterlesen

Nach Auschwitz: Was es bedeutet, Jude zu sein

„Nun wissen die Kinder, was es bedeutet, Jude zu sein“, sagte mein Rabbiner, als wir gemeinsam an den Gleisen von Auschwitz-Birkenau vorbeigingen, nachdem wir soeben mit dem Kaddisch und dem Entzünden von Seelenlichtern all der Toten gedachten, die an jenem Ort ihr Martyrium antraten, und deren Leiden eine neue Vorstellung von Moral und Menschlichkeit erzwangen, der Welt aber vor allem zeigten, wie sehr es dem Menschen doch an einem aufrichtigen Herzen mangelt.
Auschwitz, so brachte man es mir bei, sei ein Ort, dessen Wirkung sich mit Worten kaum beschreiben lässt, und der einem schlicht ein Gefühl der Ohnmacht vermittelt. Mag man sich noch so laut über die scheinbar leblose, durch Reden und Schweigeminuten geprägte, deutsche Gedenkroutine und -kultur beklagen, muss man spätestens dann, wenn man an dem Ort, der das Gedenken wie auch das Umdenken erzwingt, war, mit Ernüchterung und schmerzender Ohnmacht feststellen, dass es keine Alternative zum Stehen, Schweigen und Mahnen geben kann. Weiterlesen

Der katholische Umgang mit Sühne und Kritik

Im Grunde ist es nicht nötig, die fortwährend ans Licht kommenden Missbrauchsfälle unter anderem, aber auch gerade in der Katholischen Kirche zu kommentieren, denn an Empörung wurde schon alles geäußert, was einem bei diesen Meldungen in den Sinn kommt.
Doch aller Empörung zum Trotz, scheint die Kirche die Verhältnisse um 180° umdrehen zu wollen und realisiert scheinbar überhaupt nicht, dass sie ihr eigenes Ansehen, ihre eigene moralische Glaubwürdigkeit und Autorität mittlerweile vollkommen untergraben hat und fleißig an ihrem eigenen Grab schaufelt. Die Kirche beherzigt nicht den zentralen Grundwert ihres Glaubens, den sie ihren Schäfchen auf allen Beichtstühlen überall auf der Welt ans Herz legt – Sühne.
Nein, die Kirche sucht keine Sühne. Sie bittet nicht um Entschuldigung und nein, sie zeigt nicht einmal Mitgefühl mit den Opfern, denn ganz offensichtlich sieht sie sich selbst als Opfer, da die Menschen es wagen, an ihrer Fassade zu kratzen, weil sie es wagen, wie es der Kardinal Sodano bei der heutigen Ostermesse auf dem Petersplatz formulierte, mit „unbedeutendem Geschwätz“ das Ansehen des Papstes zu beschädigen. Belohnt wurde diese Aussage, für deren Kommentierung jedem gesunden Menschenverstand die Worte fehlen, mit einer Umarmung des „Heiligen Vaters“. Diese offen zur Schau gestellte Arroganz und Unantastbarkeit des Altherrenvereins, genannt Vatikan, vermag noch viel mehr zu verletzen als der unsinnige Antisemitismusvergleich des Papstpredigers Cantalamessa, denn an Sodanos Aussage wird – im Vergleich zur Aussage Cantalamessas – deutlich, dass man sich nicht einmal in einer Situation sieht, in der man sich in irgendeiner Weise verteidigen muss, und sei es auch nur durch kopflose Vergleiche, um die eigene Schuld zu relativieren. Nein, der Schuldbegriff scheint dem Vatikan fremd zu sein, weshalb Benedikt auf dem Peterplatz für die „moralische Erleuchtung“ der Welt betet, ohne seine pädophilen Schergen in dieses Gebet ganz offen mit einzuschließen.

Vollkommen richtig titelt der aktuelle SPIEGEL „Der Unfehlbare“ und absolut berechtigt wird der irische Kommentator Maurice O’Connell der „Sunday Tribune“ mit folgender Aussage zitiert:

Warum konnte Benedikt nicht in ein Flugzeug steigen und zwölf Opfern die Füße waschen?

Verstehe ich als Außenstehender die Ostergeschichte richtig, dann hat sich – und ist dies nicht auch die Kirchenlehre? – Jesus aus Liebe zu den Menschen selbst erniedrigt, um sie zu versöhnen. Also warum zögert Benedikt? Warum eifert er seinem Vorbild nicht nach?

Als Jude kann es mir egal sein, ob die Katholiken für unsere Erleuchtung beten oder nicht, denn was bedeuten uns schon die Worte des Vatikans und welchen gesellschaftlichen Einfluss hat die Kirche noch in Europa? Doch unser Verstand und das mosaische Gebot der Nächstenliebe fordern uns auf, den Missbrauchsopfern mit Empathie zu begegnen – über die konfessionellen Grenzen hinweg. Als Juden sollten wir uns nicht empören, weil alte Herren im Vatikan meinen, den g’ttlichen Bund mit Israel immer wieder neu zu definieren, doch mit Empörung und Menschlichkeit(nicht weil wir Juden, sondern weil wir einfach Menschen sind) sollten wir auf das allzu große Leid vieler katholischer Kinder reagieren, die einer religiösen Autorität ausgeliefert waren und noch heute darunter leiden.
Zeigen wir Benedikt, dem Vertreter der Religion der Nächstenliebe, was praktizierte Nächstenliebe tatsächlich bedeutet. Ja, stellen wir diesen alten Mann bloß!

Broder und der Islam

Eigentlich habe ich Texte von Henryk M. Broder immer äußerst gern gelesen und eigentlich war ich auch immer bemüht, ihn von dem Vorwurf ein geistiger Brandstifter zu sein, freizusprechen, obgleich ich seinen Thesen zur „Islamisierung“ Europas nie viel abgewinnen konnte.

Nachdem ich nun im SPIEGEL sein Essay „Das grüne Band der Sympathie“ gelesen habe, muss ich mein Urteil über Broder wohl revidieren.

Die Kompetenz eines Intellektuellen, sei er es selbsternannt oder in den Augen anderer verdient, messe ich vor allem an seiner Bereitschaft und Fähigkeit, Dinge zu differenzieren, sich also vom plumpen Schwarz-Weiß-Denken des BILD-Proleten abzugrenzen. Bislang konnte ich auch bei Broder, ohne Zweifel ein kluger und vor allem lustiger Kopf, immer eine klare Unterscheidung zwischen Terroristen und gewöhnlichen Muslimen, politischem Islamismus und Islam finden, auch wenn es in seiner rhetorischen Wucht und Polemik oftmals etwas unterging.

Im besagten Essay jedoch verschwimmen für ihn die Grenzen zwischen Islam und Extremismus völlig. Mehr noch, in einem Nebensatz kanzelt er den entscheidenden Unterschied als nichtig, im Grunde gar nicht existent, ab.
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Menschen vertrauen?

Psalm 146, 3-4
„3.Vertrauet nicht auf Fürsten, auf den Menschensohn, bei dem nicht Hilfe ist. 4.Ausgeht sein Odem, er kehrt zurück in seine Erde. An gleichen Tage sind hin seine Ratschläge.“

Viele Menschen, gerade die christlich geprägten, werden bei diesem Vers wohl über die „Herabwürdigung“ der Ratschläge „des Menschensohnes“ stutzen, denn bekanntlich ist dies eine Bezeichnung, die auch Jesus zugeschrieben wurde und viele Christen werden besagten Vers aus diesem Wissen heraus irgendwie in Verbindung mit Jesus bringen wollen.
Der Gedanke ist durchaus logisch, aber nicht umsonst wird man stutzig.

Der „Fehler“ liegt im künstlerischen Ausdruck „Menschensohn„.
Im hebräischen Originaltext heißt es nämlich בן-אדם – „Ben Adam„, was nichts anderes bedeutet als „Sohn Adams„. Da Adam als erster Mensch gilt, zieht man beide Worte einfach zu „Menschensohn“ zusammen.
Der Menschensohn ist folglich jedoch nichts weiter als ein Nachfahre Adams, also ein ganz gewöhnlicher Mensch.
Der Vers bezieht sich daher nicht auf irgendeinen Heiland, sondern auf den Fürsten(ein weltlicher Herrscher), der zwar manch gute Ratschläge zu geben weiß, jedoch nur ein gewöhnlicher Mensch ist, wie auch all die anderen Menschen, die sich vielleicht an ihn wenden mögen.

Aus der sozialen Stellung eines Menschen schlussfolgern wir oftmals automatisch bestimmte Fähigkeiten, die ihm zu jener Position verholfen haben müssen und daher wenden wir uns in gewissen Situationen verständlicherweise an solche Menschen, denen wir aufgrund ihrer Position ein Know-How für unser Problem zutrauen.
Es zeugt natürlich von Stärke, Schwächen einzugestehen und Rat zu erbitten. Doch wir dürfen nie vergessen, dass auch der Ratgeber in seinen Mitteln und Fähigkeiten bedingt ist, dass auch er nur ein Mensch mit Neigungen, Stärken, Schwächen und Problemen ist, er sich also folglich trotz allen Anscheins irren kann. Seine Existenz sowie seine Ratschläge sind vergänglich, wie auch wir es sind. Vers 4 betont das sehr schön, dass auch der „Sohn Adams“ zurück zur Erde geht. Denn was bedeutet eigentlich „Adam“? Erdling(aus Erde gemacht)!
Vor G’tt stehen wir also doch alle auf einer Stufe, und wenn wir gar keinen Ausweg mehr finden, ist er es, den wir um Rat bitten können.

Selbstgefälligkeit der Moral

Eine Grundlage der frühkindlichen Erziehung, und noch weit darüber hinaus, bildet neben der emotionalen Fundierung des Menschen, welche von Fall zu Fall unterschiedlich Erfolgsstufen erreicht, vor allem auch die Vermittlung kultureller Grundprinzipien, die im Laufe des Heranwachsens verfeinert werden und schlussendlich eine Teilhabe am gesellschaftlichen Miteinander ermöglichen sollen.
Diese Vermittlung bezieht sich jedoch nur sekundär tatsächlich auf ideelle Gedankenwelten, sondern benutzt solche viel mehr als Mittel, um ein konkretes – und zwar erwünschtes – Handeln zu bewirken, welches sich zwar an vermittelten Werten orientiert, aber im Lichte der Bedeutsamkeit dennoch über ihnen steht, da der Wert als solches nicht näher bestimmt, erläutert und begründet, sondern als etwas absolut Gültiges in den Raum geworfen wird, nach dem man sich zwangsläufig und ohne weiteres Hinterfragen zu richten hat.
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Die Schweiz, Minarette, Faschismus und Integration

Was in der Schweiz geschehen ist, muss ich wohl nicht weiter zusammenfassen, denn im Vorfeld wie auch in der folgenden Berichterstattung haben sich die europäischen Medien ausführlich mit der Volksinitiative gegen den Bau von Minaretten in der Schweiz beschäftigt und das Ergebnis derselben sollte niemandem unbekannt sein.

Der türkische Ministerpräsident bezeichnet das Ergebnis nun als ein Zeichen von Faschismus.
Gut, nun ist Erdogan durchaus für überzogene Forderungen und Bemerkungen bekannt und auch in diesem Punkt neigt er zur Dramatisierung, doch im Kern der Sache liegt er nicht vollkommen falsch, denn ein Grundpfeiler einer jeden faschistischen Bewegung war und ist stets ein ausgeprägtes Feindbild. So wie es bei den deutschen Nationalsozialisten die Juden, Sozialisten, Kommunisten und Sozialdemokraten waren, sind es in Ungarn heute ebenfalls die Juden und Sozialisten, und in einem noch höheren Maße als im Nationalsozialismus die Roma. In der Schweiz, so könnte man(und das nicht nur auf Grundlage der Volksinitiative) meinen, hat man sich mit den Jahren auch einen Feind gebacken – den Muslim, oder, um es doch als bürgerlichen Ausdruck von Kritik zu verkaufen, den Islam.
Der Kabarettist Hagen Rether drückt es schon vollkommen richtig aus: Früher hieß das „Kanacken raus!“ und kam aus der Unterschicht und heute nennt sich das „Islamkritik“ und kommt von ganz oben.
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